Berufstätige, die ein Studium aufnehmen möchten, haben gute Voraussetzungen, wenn sie damit nicht allzu lange warten, aber auch nicht sofort nach der Berufsausbildung beginnen. Eine mittlere Dauer der Berufserfahrung von vier bis sechs Jahren nach dem Abschluss der Berufsausbildung scheint sich im Hinblick auf den Studienerfolg als optimal zu erweisen. Dabei ist jedoch ausschlaggebend, ob die Kompetenzen, die während der Ausbildung und der Berufstätigkeit erworben wurden, ins Studium eingebracht werden können. Dies geht aus einer Untersuchung des Zentrums für Qualitätssicherung und -entwicklung (ZQ) an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) hervor.
Das ZQ begleitet ein vom Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur (MBWWK) initiiertes Modellprojekt, das bundesweit in dieser Form einmalig ist: Das Land Rheinland-Pfalz hat im Zuge der generellen Erleichterung des Hochschulzugangs für beruflich Qualifizierte im Jahr 2010 eine noch weitergehende Öffnung beschlossen und Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung ohne die ansonsten geforderte mindestens zweijährige Berufserfahrung probeweise zum Studium an bestimmten Fachhochschulen zugelassen. In seinem Zwischenbericht legt das ZQ ein differenziertes Ergebnis vor, das insgesamt ein positives Bild vom Studium ohne Abi zeichnet.
Ein besonders erfreulicher Aspekt ist die hohe Zufriedenheit der beruflich Qualifizierten mit ihrem Studium. 70 Prozent der Befragten haben auch nach den ersten Semestern noch immer Spaß am Studium, etwa 50 Prozent sind mit ihren Studienleistungen sehr zufrieden. Lagen die Noten der beruflich qualifizierten Studierenden im ersten Semester noch bei durchschnittlich 2,6, so haben sie sich im zweiten Semester sogar auf einen Durchschnittswert von 2,4 verbessert. Einen wichtigen Einfluss auf den Studienerfolg hat die Relevanz der Berufserfahrung, also der Umfang, in dem die Erfahrungen aus dem Beruf in das Studium eingebracht werden können. „Eine mittlere Dauer der Berufserfahrung von vier bis sechs Jahren hat sich zwar grundsätzlich als positiv erwiesen, die Dauer der Berufserfahrung kann aber durch eine hohe Relevanz der beruflichen Vorerfahrungen kompensiert werden“, erklärt Helena Berg vom ZQ. Für die Modellstudierenden, die direkt nach der Berufsausbildung mit dem Studium begonnen haben, ist es demnach besonders wichtig, in welchem Maße sie ihre beruflichen Erfahrungen im Studium nutzen können.
Unabhängig von der Berufserfahrung zeigt sich, dass beruflich Qualifizierte an Fachhochschulen durchgängig die größeren Studienerfolgschancen aufweisen als an Universitäten. Die Chancen sind außerdem besser in den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie den Gesundheitswissenschaften bzw. der Medizin, während sie in den natur- und ingenieurwissenschaftlichen Fächern etwas schlechter ausfallen.
Die Zahl der Studienanfängerinnen und Studienanfänger, die mit Berufsausbildung zugelassen werden, ist nach der Reform 2010 deutlich gestiegen: Sie hat sich im Jahr 2011 gegenüber dem Vorjahr auf annähernd 500 fast verdoppelt und stieg nach Angaben des Statistischen Landesamtes bis 2013 weiter auf mehr als 670 Personen an. Damit lag der Anteil der Studienanfängerinnen und Studienanfänger mit beruflicher Qualifizierung insgesamt bei 2,9 Prozent. An Fachhochschulen beträgt der Anteil der beruflich qualifizierten Studienanfängerinnen und Studienanfänger inzwischen sogar 5,5 Prozent. Im Rahmen des Modellprojekts konnten zwischen dem Sommersemester 2011 und dem Sommersemester 2014 beruflich qualifizierte Studieninteressierte ohne zweijährige Berufstätigkeit zwischen 17 Studiengängen an fünf Hochschulen in Rheinland-Pfalz wählen. Das Zentrum für Qualitätssicherung und -entwicklung wird einen Abschlussbericht im Herbst vorlegen.