Ärztin und Literaturwissenschaftlerin Rita Charon spricht über die Bedeutung von Krankheitserzählungen für eine ganzheitliche Medizin
Die moderne Biomedizin bietet dem Menschen immer neue Möglichkeiten, die Grenzen des menschlichen Lebens zu verändern – von der technologisch assistieren Reproduktion bis hin zu lebensverlängernden Maßnahmen und Fragen der Sterbehilfe am Lebensende. Umgekehrt weckt jedoch die moderne Hochleistungsmedizin bei vielen Menschen auch Unsicherheiten. Zum Beispiel die Sorge, dass angesichts einer Gerätemedizin die Ängste des Patienten vor einer existentiellen, als bedrohlich empfundenen Lebenssituation weitgehend unberücksichtigt bleiben.
Hier setzt das von der amerikanischen Ärztin und Literaturwissenschaftlerin Rita Charon, MD, PhD (Columbia University Medical Center, New York) entwickelte Programm „Narrative Medicine“ an, indem es gerade diese Ängste, die für viele mit der modernen Biomedizin verbunden sind, ernst nimmt. Charon fordert Ärzte auf, die Lebensgeschichten ihrer Patienten über die rein medizinische Diagnostik hinaus wahrzunehmen. Denn laut Charon sind diese Erzählungen mehr als bloße Krankheitsberichte: „Sie sind auch und vor allem Lebenserzählungen, die der Arzt anerkennen und wertschätzen muss.“
Charons ganzheitlicher medizinischer Ansatz appelliert daran, im Patienten vor allem den Menschen zu sehen. „Ärzte“, so betont Charon, „müssen angesichts einer sich immer weiter spezialisierenden Biomedizin Empathie neu lernen. Dabei kann vor allem die Literatur helfen. Denn die Literatur beschreibt Krankheit und existentielle Lebenssituationen aus der Sicht der Betroffenen.“
Am 2. Dezember wird Rita Charon ihren selbst entwickelten und weltweit einzigartigen Ansatz, Krankheitserzählung mit medizinischer Diagnose zu verbinden, in einem öffentlichen Vortrag an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) vorstellen. Er findet im Rahmen des Graduiertenkollegs „Life Sciences – Life Writing: Grenzerfahrung menschlichen Lebens zwischen biomedizinischer Erklärung und lebensweltlicher Erfahrung“ statt. Alle Interessierten sind herzlich zu dem Vortrag eingeladen.
Die Veranstaltung findet am 2. Dezember 2015 um 18:30 Uhr auf dem Campus der JGU im Hörsaal 19, Anatomie, Johann-Joachim-Becher-Weg 13 statt. Der Eintritt ist frei.
Das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Graduiertenkolleg „Life Sciences – Life Writing“ wird gemeinsam getragen vom Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin (GTE, Universitätsmedizin Mainz) und der Amerikanistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.
Quelle: Universität Mainz